die augen hören wie ohren sehen, 2019
die augen hören wie ohren sehen, 2019
Konzept für den Eingangsbereich der Joseph Rehrl Schule, Salzburg

Grundsätzliches

Die Schule
Die Josef Rehrl Schule ist zugleich integrative Volksschule, Mittelschule und Polytechnikum
mit Nachmittagsbetreuung sowohl für hörende Kinder als auch für Kinder mit
Hörbeeinträchtigung. Die Schule hat bereits eine lange Tradition; ihre Geschichte reicht
zurück bis in das Jahr 1898. Derzeit besuchen 69 Kinder mit Hörbeeinträchtigung und
59 hörende Kinder im Alter von 6–18 Jahren die Schule. Alle Schüler genießen u. a.
eine ganzheitliche Förderung der Sprach- und Kommunikationskompetenz.
Im Leitbild der Schule wird festgehalten: „Eine Sprache zum Hören und eine Sprache
zum Sehen – Gebärdensprache und Lautsprache sind gleichwertige Sprachen. Wir
berücksichtigen die unterschiedlichen Wahrnehmungsbedingungen unserer Schüler
und Schülerinnen, deshalb gibt es lautsprachliche und gebärdensprachliche Angebote.
Ziel ist eine hohe Kommunikationsfähigkeit.“

Gebärdensprache
Die Deutsche Gebärdensprache ist eine natürlich entstandene vollwertige Sprache
mit umfassendem Vokabular und eigenständiger Grammatik. Es gibt sogar regional
unterschiedliche „Dialekte“. Jede Gebärde besteht aus einem Zusammenspiel von
Gestik bzw. Handbewegungen, der Kopf- und Körperhaltung, dem Mundbild und der
Mimik. Mithilfe der Gebärdensprache können gleichzeitig mehrere Informationen
schnell und einfach ausgedrückt werden. Das unterscheidet sie von der gesprochenen
Sprache, bei der die Wörter nacheinander zu Sätzen geformt werden.
In Österreich ist die ÖGS (Österreichische Gebärdensprache) seit 2005 als Sprache
anerkannt, und ihr Gebrauch ist verfassungsrechtlich gesichert. Die Gebärdensprache
hat für Gehörbeeinträchtigte eine zentrale Bedeutung und ist für sie in hohem Maße
identitätsstiftend.

Fingersprache und Fingeralphabet
Die Fingersprache wird zusätzlich zur Gebärdensprache in der Kommunikation mit
und unter Gehörlosen oder Hörbeeinträchtigten benutzt, um insbesondere Namen und
Wörter zu buchstabieren, für die noch kein Gebärdenzeichen festgelegt und verbreitet
ist. Das Fingerbuchstabieren kann auch dazu dienen, ein Wort besonders zu betonen,
und wird dann anstelle des betreffenden Gebärdenzeichens eingesetzt. Jedes
Wort der deutschen Schriftsprache kann mithilfe des Fingeralphabets buchstabiert
werden. Diese Zeichen werden im visuellen Gespräch ausschließlich mit den Händen
vermittelt und nicht verschriftlicht. Als Kommunikationshilfe zwischen Hörenden und
Gehörbeeinträchtigten ist das Fingeralphabet gut geeignet, da es im Gegensatz zur
Gebärdensprache relativ leicht zu erlernen ist.
Sowohl Fingeralphabet als auch Gebärdensprache können von allen Schülerinnen
und Schülern der Josef Rehrl Schule verstanden und „gelesen“ werden.

Konzept
Das Foyer ist ein zentraler Raum der Schule, den alle Schülerinnen und Schüler mehrmals
täglich betreten. Aufgrund der zurückhaltenden Architektur des Eingangsbereichs
und den vielen verschiedenen möglichen Blickrichtungen auf den Boden – vom Eingang,
der Treppe und dem 1. Stock – lädt dieser Raum besonders zur Gestaltung ein. Die Begehbarkeit
des Kunstwerks und auch die Lesbarkeit aus allen Richtungen, sei es beim Betreten des Raumes durch den Haupteingang oder z. B. beim Blick auf den Boden ausdem 1. Stock, spielen im Konzept eine wesentliche Rolle.
In meiner Arbeit „die augen hören wie ohren sehen“, die speziell für die Josef Rehrl Schule entwickelt wurde, greife ich das Fingeralphabet auf, um damit ein Gedicht von Ernst Jandl visuell umzusetzen.
Das Gedicht „augen und ohren“ beschäftigt sich auf humorvolle, spielerische und zugleich tiefsinnige Weise mit dem Thema „Sehen und Hören“. Durch die unterschiedliche Anordnung der Wörter „augen“, „ohren“, „sehen“, „hören“, ergänzt durch „die“ und
„wie“, ergeben sich verschiedene Sinnzusammenhänge, die mit „die augen hören wie
ohren sehen“ enden. Inhaltlich spricht der Text sowohl die Schülerinnen und Schüler
mit Hörbeeinträchtigung als auch die hörenden Kinder an.
Den Augen und dem Sehen, die das Hören ersetzen oder ergänzen, kommt in meiner
Arbeit in Verbindung mit dem Fingeralphabet eine ganz besondere Bedeutung zu. Die
Augen können durch die Gebärdensprache „hören“ – so wie Hörende mit den Ohren
„um die Ecke sehen“ können. Oder wie es die berühmte gehörlose Schlagzeugerin
Evelyn Glennie sehr schön formulierte: „All the other sences will become the sences
we lost“(„Alle anderen Sinne werden zu den Sinnen, die wir verloren haben“).
Wenn man den Raum betritt, sieht man sechs Kreise. Die Kreise haben einen Durchmesser
von 122, 135 und 154 cm, das sind in etwa die Ausmaße von Kreisen, die
Kinder in Drehbewegungen mit ihren Armen beschreiben. Die Anordnung der Kreise
erinnert an ein Spiel, das dazu einlädt, entlang der Pfeile von einem Kreis zum
nächsten zu gehen oder zu hüpfen. In jedem Kreis ist jeweils ein Wort in die „Buchstaben“
des Fingeralphabets übersetzt, die kreisförmig angeordnet sind. Wenn man
beim Eingang mit „die“ beginnt und der Richtung der kürzesten Pfeile folgt, liest
man: „die augen sehen wie die ohren hören.“ Wählt man einen anderen Weg entlang
der Pfeilrichtung und nimmt man z. B. zu Beginn den längeren Weg, ergibt sich: „die
ohren sehen wie die augen hören.“ Wenn man sich stets entlang der Pfeile bewegt
und immer bei „die“ beginnt, erschließt sich irgendwann das gesamte Gedicht von
Ernst Jandl:

augen und ohren*
Ernst Jandl
die ohren hören
die augen sehen
die ohren sehen
die augen hören
die ohren sehen wie ohren
die augen hören wie augen
die ohren sehen wie augen
die augen hören wie ohren
die ohren sehen wie augen hören
die augen hören wie ohren sehen

Da im Entwurf ausschließlich Buchstaben vorkommen sollten, die statisch, d. h. nicht
mit einer Handbewegung dargestellt werden, wurde „ö“ durch „oe“ ersetzt.
Das Gedicht kann aus jeder Richtung erkundet werden, da die Buchstaben der Worte
kreisförmig angeordnet sind. Der Beginn des Wortes befindet sich immer an einer
anderen Stelle. Jede der Gedichtzeilen beginnt mit dem Artikel „die“. Wenn man den Raum betritt,
beginnt man automatisch bei dem ersten Wort: „die“. Betrachtet man das Gedicht
durch das große Fenster im ersten Stock, so sieht man es wie auf einem Blatt
Papier und liest es von oben nach unten, wobei wieder mit „die“ begonnen wird. Die
weitere Reihenfolge ergibt sich dann von selbst.
Die Arbeit „die augen hören wie die ohren sehen“ ist eine Bodenskulptur und wurde
in Terrazzo umgesetzt.

* © Ernst Jandl, Poetische Werke, hrsg. von Klaus Siblewski. Luchterhand Literaturverlag, München 1997,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, S. 4



die augen hören wie ohren sehen, 2019
Eingangsbereich der Joseph Rehrl Schule, Lehnerstraße 1, 5020 Salzburg
Auftraggeber: Salzburg Wohnbau in Kooperation mit Kunst am Bau-Land Salzburg - Geladener Wettbewerb, realisiert