Home Sweet Home – Ironie der Gefühle
Walter Seidl

Die Frage nach der Skulptur in der zeitgenössischen bildenden Kunst ist automatisch mit der Frage nach ihrer installativen Koppelung und Wechselwirkung mit dem Raum als psychogrammatische Matrix verbunden. Environments als sinnstiftende Gesamtmodelle künstlerischer Aussagekraft dienen einer Hinterfragung aktueller Lebenszusammenhänge und ihrer kulturellen, sozialen und psychodynamischen Einschreibungen. Entscheidend ist dabei die Formgebung der Skulptur als Ausdruck mentaler Zustandsformationen, ob als konkaves oder konvexes, nach innen gekehrtes oder nach außen gestülptes Moment, und die Frage, wie jene Oberflächendynamik mit der Umwelt bewusst oder unbewusst interagiert.
Julie Haywards Skulpturen setzen sich mit der Funktion von Environments, im Speziellen mit Elementen in einem vornehmlich privaten und daher psychosozial konnotierten Kontext auseinander. Die Dekonstruktion plastischer Dimensionen führt zu einer neuen Deutung von Wirklichkeit, die bekannte Objektformationen verwendet, diese aber in einen befremdlichen Zustand versetzt. Auf einer analytischen Ebene geht Hayward Fragen der Introspektion nach und untersucht dabei die Sehnsüchte und Illusionen, die mit diversen psychogeografischen Konstruktionen verbunden sind. Bei näherem Anblick der vordergründig vertraut scheinenden Objekte werden BetrachterInnen oftmals mit einer vermeintlichen Verstörtheit konfrontiert, die Gefühle von Angst evoziert, aber genauso schnell in die Ebene von Humor übergehen kann. Hierbei handelt es sich um Angstzustände, die im Grunde nicht genau lokalisiert werden können und an Sigmund Freuds Theorie des Unheimlichen anknüpfen, bei dem das Schreckhafte aufgrund von längst vertrauten, aber im Unterbewusstsein gespeicherten Erfahrungen hervortritt. Das Unheimliche geht auf Altbekanntes, jedoch unmittelbar Verstörendes zurück und bildet vorgeblich den Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut. Vieles Neuartige erscheint oftmals leicht schreckenerregend und unheimlich, jedoch nicht alles, da unsere Wahrnehmungsschemata ständig zwischen Bekanntem und Unbekanntem oszillieren. Oberflächlich betrachtet wäre das Unheimliche alles, was uns visuell rätselhaft erscheint und wo sich wie im Falle von Haywards Skulpturen zahlreiche Fragen der Form und Funktion des Dargestellten auftun. Die Grenze zwischen unheimlich und heimlich ist jedoch oftmals sehr schwer festzumachen und auch laut Freud nicht immer eindeutig definierbar.

Ein Teil von Haywards Werken bezieht sich auf Elemente einer häuslichen Umgebung und korreliert mit Definitionen von heimlich, heimisch und vertraut, wenn auch mit einem verstörenden Twist. Das gilt auch für die Objekte der Ausstellung „home sweet home“ sowie für Home on Legs. Manche Objekte erinnern an Wiegen, Luster oder auch Kinderbeine, sowie expliziter auch im Titel die Arbeit Bound Slippers. Letztere bezieht sich auf die japanische Tradition des Bondage und lässt das Fiberglas und Plüschobjekt wie Ballettschuhe aussehen. Gefesselt zu sein im „Zuhause“ evoziert kulturell bedingte Riten und die Differenziertheit zwischen Privatheit und dem Auftreten in der Öffentlichkeit. Das Wirkungsspektrum von Haywards Arbeiten ist jedoch viel breiter und nicht vordergründig auf die Realität eines spezifischen Alltags ausgerichtet, wodurch sich Momente des Unheimlichen durch ihr gesamtes Œuvre hindurchziehen. Die Frage, die sich mediengeschichtlich stellt, betrifft die Diskrepanz zwischen dem Dargestellten und dem Imaginierten. Wie objektiv können Objekte in einer Welt erscheinen, in der Realität und Objektivität medial simuliert sind und letztendlich auf konstruierte Realitätsmomente zurückgreifen, zu denen es eine kritische Distanz zu halten gilt? Jene Abgründigkeit, die sich in Haywards Skulpturen auftut und die BetrachterInnen in Unsicherheit versetzt, wird in Freudscher Manier mit einer psychischen Parallelebene gleichgeschaltet, in der das Unheimliche mit Gefühlen des Alltags gekoppelt wird und sich humorvoll in einer künstlerisch verhandelten Formensprache wiederfindet. Die Leichtigkeit des Raums wird mit einer scheinbaren Leichtigkeit der Objekte in Einklang gebracht. Zusammenschlüsse unterschiedlicher Materialien in perfekter Ausführung lassen Haywards Objekte, die oftmals im Raum zu schweben scheinen, zu kosmonautisch oder utopisch anmutenden Gebilden werden. Amorphe Strukturen, deren Plastizität sich im Raum ausbreitet, weisen eine harte äußere Schale auf, die manchmal mit Kunstleder oder mit an Heilbehelfen erinnernden Materialien tapeziert wird, während ihr Innenleben oftmals mit Plüsch gepolstert ist. Ebenso wechseln hautfarbene, an orthopädische Behelfe erinnernde Farben mit hartem Schwarz ab, wodurch sich ein Positiv-Negativ-Effekt einstellt, der auf die psychologischen Tiefen des zur Schau Getragenen verweist.
Auf welcher Grundlage entstehen diese perfekt konfektionierten Einzelteile, die zwischen Monstrosität und Schwerelosigkeit, Detailgenauigkeit und präziser Farbabstimmung oszillieren? Neben den gedanklichen Überlegungen sind es in formaler Hinsicht vor allem Zeichnungen, die als Prototypen das ästhetische Feld rund um die daraufhin entstehenden Produktionen abstecken. Einmal ausgeführt, laden die fertigen Objekte zu einem unmittelbaren Gebrauch ein, der jedoch nur in der Vorstellung ausgeführt werden kann, denn berührt werden dürfen die Arbeiten nicht. BetrachterInnen werden hinsichtlich der Materialität in einer Ungewissheit gehalten, die nicht entschlüsseln lässt, ob sich etwas weich, hart, leicht oder schwer anfühlt und ob das Material tatsächlich dem entspricht, was die Vorstellungskraft suggeriert. Durch die reine Perzeption ohne eine mögliche Interaktion fehlen exakte Handlungsanleitungen. Während Franz West seine „Passstücke“ in Relation zum menschlichen Körper bringt, sind es bei Hayward lediglich Andeutungen an einen möglichen Gebrauch, dessen eigentliche Funktion im Raum stehen beziehungsweise hängen bleibt. Ähnlich wie bei West verweisen Haywards Objekte auf psychoanalytische Momente, die vor allem durch ihre Materialität an Fetische erinnern, deren Aufgabe es ist, als Ersatzmomente für das Reale zu stehen, das durch kontinuierliches Begehren jedoch unerreichbar bleibt. Für Freud wird der Fetisch von seinen Anhängern oder Benutzern, die vorwiegend männlichen Geschlechtes sind, zwar als gewisse Abnormität erkannt, jedoch nicht unbedingt als Leidensmoment, da er Erleichterungen innerhalb des sexuellen Begehrens ermöglicht. Im Falle von Haywards Arbeiten wird das Begehren physisch nicht gestillt. Die BetrachterInnen werden auf Distanz gehalten, wodurch sie in eine Vorstellungswelt gezwungen werden. Oftmals werden lederartige Teile eingesetzt, die vorwiegend in Schwarz gehalten sind, aber auch hautfarbenes Aussehen simulieren. Beide Farbreferenzen sind bei Hayward kontinuierlich zu finden, etwa in den Arbeiten Home on Legs oder Kitzelkorsett. Symptomatisch stehen die beiden Titel auch für die Grundthemen in Haywards Arbeiten. Um das Thema „Home“ kreisen sämtliche Arbeiten, wobei die deutsche Terminuslage soziokulturell unterschiedliche Auslegungsmodalitäten bietet. Traditionsbedingte Begriffe wie Heimat, heimisch oder heimelig verweisen auf kulturhistorische Vorstellungen von Idylle, während Heim beziehungsweise „das Zuhause“ sowohl einen physischen als auch einen psychischen Moment der Zugehörigkeit bedingen kann. Weder das eine noch das andere findet in den Arbeiten von Hayward Erfüllung. Die Künstlerin behandelt jene Sehnsüchte, die mit der Vorstellung von einem Zuhause verbunden sind, sowie die dahinterliegenden Illusionen und Abgründe.

Haywards Objekte sind durch eine Fragilität gekennzeichnet, deren Formensprache keinerlei explizit formulierte Spielregeln einfordert. Die wiegenartigen Objekte wie etwa Shelter sind im Inneren schwarz und glatt und mutieren eher zu Gefäßen, die an schwarze Tropfen erinnern, als an Momente der Geborgenheit. Das hautfarbene Äußere kontrastiert mit dem bedrohlichen Schwarz des Inneren, wodurch sämtliche sich anfangs einstellende Gefühlsmomente über Bord geworfen werden. Dadurch stellt sich in Haywards Skulpturen eine Mischung zwischen Sterilität und Science-Fiction-ähnlicher Perfektion von noch nicht, aber in naher Zukunft existierenden Objektformationen ein, deren Schwebekraft sich gegen aktuelle gravitative Verhältnismäßigkeiten richtet. In weiterer Hinsicht evozieren die Objekte Jacques Lacans Konzept von „désir“ beziehungsweise Begehren, das darauf beruht, das Subjekt als Träger eines nicht rückgängig zu machenden Mangels darzustellen. Ähnlich wie bei Freuds Verlust des Phallus und dessen Ersatz durch den Fetisch führt auch Lacans Konzeption des Begehrens zu einer Begierde nach etwas, das in der Realität nicht eingelöst werden kann und deshalb das Begehren (nach dem Anderen) in eine Endlosschleife kippen lässt.
Eine andere Wendung nimmt etwa die Bedeutung der Arbeit Pooped, die dem Titel entsprechend „ausgepumpt“ (bzw. erschöpft) am Boden liegen mag, aber mehrdeutige Definitionsebenen ermöglicht. Dass es sich nicht unbedingt um ein ausgepumptes Objekt handelt, zeigt sich in der Kompaktheit des Objekts mit seiner straffen und glatt perfektionierten Polyesteroberfläche und einer extern angeschlossenen Pumpe, die einer Kanone ähnelt. Es könnte sich bei Pooped auch um ein überdimensionales Sexspielzeug handeln, das aufgrund der Größe, Schwärze und Glattheit des Materials Gefahren in sich zu bergen droht. Die Unheimlichkeit und Angst generierende Komponente der Objekte setzt bei Hayward Momente der Ironie frei und bildet letztendlich eine Art Schutzschild, der die BetrachterInnen eine gewisse Distanz beziehungsweise einen Sicherheitsabstand einhalten lässt. Die Objekte bleiben steril und von menschlicher Hand oder Haut unberührt, da ihre allzu perfekten Ausführungen Gebrauchsweisen antizipieren, deren eigentliche Funktion momentan noch nicht erschließbar gemacht werden kann.

Die Skulptur Phobic macht bereits in ihrem Titel das Thema Angst zur zentralen Metapher. Eine ellipsoide Struktur ähnlich einer überdimensionalen Handgranate mit Löchern erlaubt den BetrachterInnen, mit dem Objekt in Berührung zu treten. Stecken sie ihre Hände in die Löcher, so erwartet sie innen keine harte Schale mehr, sondern ein weiche Oberfläche aus Plüsch. Sensoren machen es möglich, dass dieser innere Kern zu zittern beginnt, sobald Personen sich ihm nähern. Bei diesem Objekt besteht die Ausnahme darin, dass die BetrachterInnen mit ihm eine reale Interaktion eingehen und nicht bloß aus der Distanz ihre Schlussfolgerungen ziehen. Die Oberfläche von Phobic ist mit einem Speziallack beschichtet, der bei Berührung Gummi assoziieren lässt. Hayward untersucht dadurch die Dynamik zwischen kulturellen Handlungsräumen und ihrem gesellschaftlichen Nutzen, wobei die Schnittstelle zwischen dem Objekt (der Begierde) und dem ausführenden Subjekt eine Chimäre bleibt. Die anfängliche Irritation sowie das Gefühl des Unheimlichen werden in den meisten Fällen durch Ironie und Witz aufgelöst, wodurch sich unterschiedliche Pole des Empfindens und Begehrens entwickeln können, die sich auch in der Beschaffenheit der Objekte widerspiegeln. So schickt Hayward die BetrachterInnen in ein Labyrinth der Empfindungen, das unterschiedliche Exitstrategien ermöglicht. Die Art der Teilnahme und des Einlassens auf die vorgefundenen Strukturen liegt an den BetrachterInnen sowie dem Umraum, der gemeinsam mit den Objekten psychogeografische Dimensionen eröffnet.